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Biopiraterie oder -freibeuterei
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Sep 23 2018, 6:03 pm - By Richard Stallman  [GNU]
Richard Stallman  [GNU]

 
Biopiraterie oder -freibeuterei
-- von Richard Stallman

Seit Jahrzehnten werden neue Heilmittel in Tieren und Pflanzengefunden. Gene seltener Arten und Unterarten sind ebenfalls nützlich,um neue Züchtungen zu erzeugen, sei es durch Gentechnik oder normaleZüchtung. Die Wirkstoffe - und heutzutage auch die Züchtungen selbst- - werden in der Regel patentiert. Dies verursacht Probleme fürEntwicklungsländer, die sie benötigen würden.

Patentmonopole für Pflanzensorten und Tierrassen, für Gene und neueMedikamente sind für Entwicklungsländer eine dreifache Bedrohung: Erstenstreiben diese Monopole die Preise in die Höhe, so dass die meistenMenschen keinen Zugang zu diesen neuen Entwicklungen haben; zweitenskönnen Patentinhaber die Produktion an diesen Orten verhindern, wennsie es wollen; und schließlich ist auch die landwirtschaftliche Vielfaltbedroht, weil Bauern plötzlich verboten wird, Sorten anzupflanzen oderTierrassen zu züchten, die teilweise schon seit Tausenden von Jahrenlandwirtschaftlich genutzt werden.

So wie die Vereinigten Staaten als Entwicklungsland im 19. Jahrhundertes ablehnten, die Patente des wirtschaftlich und technologisch weiterentwickelten Großbritanniens anzuerkennen, müssen die Entwicklungsländervon heute die Interessen ihrer Bürger schützen, indem sie gegen solchePatente vorgehen. Um die Probleme, die Monopole mit sich bringen, zuvermeiden, muss man Monopole vermeiden. Was könnte einfacher sein?

Aber Entwicklungsländer brauchen Unterstützung durch dieWeltöffentlichkeit, um dies zu verwirklichen. Das heißt, gegen vongroßen Konzernen propagierte Vorstellungen vorgehen: dass Investorenin Biotech-Firmen berechtigt sind, Monopole zu besitzen, unabhängigdavon, wie sie alle anderen beeinträchtigen. Das heißt, gegen Verträgevorzugehen, die diese Firmen mit Hilfe der USA durchsetzen konnten,da diese mit einem Wirtschaftskrieg gegen jedes andere Land drohen können.

Eine Idee zu bekämpfen, hinter der so starke finanzielle Interessenstecken, ist nicht leicht. Deshalb haben einige Personen das Konzept der"Biopiraterie" als alternative Vorgehensweise vorgeschlagen. Anstatt gegendie Existenz biologischer Monopole zu sein, zielt diese Herangehensweisedarauf ab, dem Rest der Welt einen Anteil am Nutzen dieser zu geben. Eswird die Behauptung aufgestellt, dass Biotech-Firmen "Biopiraterie"betreiben, wenn sie ihre Arbeit auf natürliche Vielfalt oder menschlicheGene stützen, die sie in Entwicklungsländern oder unter indigenen Völkernfinden -- und dass sie deshalb "Lizenzgebüren" zahlen sollten.

"Biopiraterie" ist auf den ersten Blick ein verlockender Ansatz, weiler den aktuellen Trend zu mehr und größeren Monopolen ausnutzt. Erschwimmt mit dem Strom, nicht dagegen. Aber er wird das Problem nichtlösen können, weil das Problem aus dem Trend selbst hervorgeht, dendieses Konzept legitimiert und an dem es gerade keine Kritik übt.

Brauchbare Abarten und Gene werden nicht überall oder gleichmäßig verteiltentdeckt. Einige Entwicklungsländer und indigene Völker würden Glückhaben und große Summen aus einem solchen System kassieren, zumindest inden 20 Jahren, in denen die Patente gültig wären; einige wenige würdenvielleicht so reich werden, dass kulturelle Veränderungen stattfinden,gefolgt von einer zweiten Phase, in der dieser Reichtum nicht mehrvorhanden ist. Währenddessen bekommen die meisten dieser Länder und Völkerwenig oder gar nichts von diesem System. "Biopiraterie"-Lizenzzahlungenwerden zu einer Art Lotterie - wie das Patentsystem insgesamt.

Das Konzept der "Biopiraterie" setzt voraus, dass natürlich vorkommendePflanzensorten, Tierrassen und menschliche Gene einen von Natur ausberechtigten Besitzanspruch in sich tragen. Wenn man diese Voraussetzunganerkennt, ist es schwierig die Idee zu hinterfragen, dass künstlicherzeugte Rassen, Sorten, Gene oder Medikamente ganz selbstverständlichder Biotechnik-Firma gehören, und man deshalb den Anspruch der Investorennach einer totalen und weltweiten Kontrolle über deren Verwendung nurschwer ablehnen kann.

Die Idee der "Biopiraterie" bietet den multinationalen Konzernen undden Regierungen, die für sie arbeiten, eine einfache Art und Weise,ihre Herrschaft der Monopole dauerhaft zu zementieren. Mit einer Gesteder Großzügigkeit geben sie einen kleinen Teil ihrer Einnahmen einigenwenigen glücklichen indigenen Völkern; von da an können sie dieseindigenen Völker und das Märchen von "hungernden genialen Erfinder"erzählen, sobald jemand in Frage stellt, dass Bio-Patente eine guteIdee sind, und schon die Fragestellung als Ausbeutung von Unterdrücktenbrandmarken. (Dieses Verhaltensmuster ist heute in der Wirtschaft weitverbreitet. Die "Musikindustrie" betreibt beispielsweise Lobbyarbeitfür mehr Macht der Rechteinhaber im Namen der Musiker, die sie "Urheber"nennen, obwohl sie Musikern nur 4% der Gesamteinnahmen der Firmen abgibt.)

Was die Menschen außerhalb der hochentwickelten Länder wirklich fürihre Landwirtschaft und Gesundheitsversorgung benötigen, ist von alldiesen Monopolen befreit werden. Sie müssen die Freiheit besitzen,Medikamente zu erzeugen ohne Lizenzgebüren an multinationale Konzernezahlen zu müssen. Sie müssen die Freiheit besitzen, alle Pflanzensortenund Tierrassen für ihre Landwirtschaft anbauen und züchten zu dürfen. Undfalls sie sich entscheiden, Gentechnik einzusetzen, sollten sie dieFreiheit erhalten, die genetische Änderungen vorzunehmen, die sie wirklichbrauchen und haben wollen. Ein Lotterielos mit Aussicht auf einen kleinenAnteil an Lizenzzahlungen für wenige Sorten, Rassen und Gene ist keineangemessene Entschädigung für die Preisgabe dieser Freiheiten.

Tatsächlich ist es durch nichts zu rechtfertigen, wenn Biotech-Firmendie natürlichen genetischen Reichtümer der Welt in private Monopoleverwandeln -- aber die Ungerechtigkeit liegt nicht darin, dass sie dasEigentum von anderen für sich beanspruchen, sondern dass sie privatieren,was Gemeingut sein sollte. Diese Firmen sind keine Biopiraten, siesind Biofreibeuter. (Schwer zu übersetzen, im Original heißt es "Thesecompanies are not biopirates. They are bioprivateers.")

(c) 1997, 1999, 2000, 2001 Richard Stallman. Übersetzung: Thomas Mayermit Hilfe von Peter Mühlbauer. Wortgetreue Kopien und die Verbreitungdes gesamten Artikels sind in allen Medien erlaubt, solange dieserHinweis erhalten bleibt.

Copyright (c) 1996, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018 Richard Stallman
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"Those who profess to favor freedom, yet depreciate agitation, are men who want crops without plowing up the ground. They want rain without thunder and lightning. They want the ocean without the awful roar of its many waters. This struggle may be a moral one; or it may be a physical one; or it may be both moral and physical; but it must be a struggle. Power concedes nothing without a demand. It never did and it never will."

 
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